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Innovative medikamentöse Vorbeugung der Migräne


Über Jahrzehnte standen zur medikamentösen Vorbeugung der Migräne Substanzklassen wie Betablocker, Antiepileptika oder auch Antidepressiva zur Verfügung, die (wenigstens zum Teil) in großen und aussagekräftigen Studien untersucht wurden. An ihrer Wirksamkeit ist insoweit nicht zu zweifeln. Auch wenn sich diese Therapien fraglos vielfach bewährt haben und in nationalen und internationalen Leitlinien als Medikamente der ersten Wahl genannt werden, müssen einige Limitationen erwähnt werden. So ist keine dieser Substanzen spezifisch zur Behandlung von Migräne entwickelt worden und die Wirkweise bleibt bis heute spekulativ. Oft ist eine langsame Aufdosierung erforderlich, die Zeit bis zum Eintritt der Wirkung kann lang und die Verträglichkeit nicht selten problematisch sein. Außerdem gibt es Betroffene, die auf keines dieser Medikamente ansprechen. Es gab daher schon lange einen erheblichen Bedarf an innovativen Therapien, um diese unbefriedigende Situation zu verbessern.

Die Migräneforschung interessiert sich seit Anfang der 90er Jahre für ein (1982 erstmals beschriebenes) Eiweißmolekül namens calcitonin gene-related peptide (CGRP), das unter anderem in Nervenzellen des Trigeminussystems gebildet wird. Man fand heraus, dass dieses System in der Migräneattacke aktiviert wird und dass dies mit einem messbaren Anstieg von CGRP im venösen Blut einhergeht. Ebenso konnte man zeigen, dass die experimentelle intravenöse Zufuhr von CGRP bei Migränebetroffenen (aber nicht bei Gesunden) mit einer Verzögerung von einigen Stunden weitgehend typische Migränekopfschmerzen hervorrufen kann. All dies sind Hinweise darauf, dass CGRP eine Schlüsselrolle in der Entstehung des Migränekopfschmerzes hat. Der Gedanke lag dann nicht mehr fern, durch eine Blockade des CGRP-Signalweges therapeutischen Einfluss auf die Migräne zu nehmen. Dies wurde über mehr als fünfzehn Jahren in klinischen Studien erforscht und hat zur Entwicklung und Marktverfügbarkeit von neuen Therapien geführt. Dabei sind zwei Gruppen von Substanzen zu unterscheiden.

1. Monoklonale Antikörper (ein in der Medizin inzwischen weit verbreitetes therapeutisches Prinzip) binden hochspezifisch an ein bestimmtes Ziel - in diesem Fall entweder an das CGRP selbst oder an dessen Rezeptor. Dadurch wird die Wirkung des CGRP blockiert. Verfügbar sind inzwischen vier Substanzen:

Sämtliche Antikörper sind bei der episodischen und der chronischen Form der Migräne in großen Studien untersucht worden und haben sich als wirksam erwiesen - auch dann, wenn Vortherapien wirkungslos geblieben waren. Man kann sagen, dass etwa die Hälfte der Teilnehmenden in diesen Studien mindestens eine Halbierung ihrer Migränetage erfahren haben. Nicht so selten tritt auch eine noch weiterreichende Besserung ein. Auf der anderen Seite kommt es auch vor, dass jemand nicht auf diese Therapie anspricht - es handelt sich also nicht um ein "Wundermittel". Als klare Vorteile haben sich jedoch der sehr rasche Wirkeintritt schon innerhalb der ersten Woche(n) und die insgesamt sehr gute Verträglichkeit erwiesen.

2. Die sogenannten Gepante folgen dem selben Wirkprinzip: Sie unterbrechen die Signalabläufe des CGRP, indem sie dessen Rezeptor blockieren. Im Unterschied zu den Antikörpern werden die Gepante als Tabletten auf täglicher Basis gegeben. In Europa verfügt Rimegepant (Vydura®) bereits über eine Zulassung der Behörden und wird in absehbarer Zeit auf den Markt kommen. Es wird sich hierbei übrigens um ein Präparat handeln, dass sowohl für die Vorbeugung als auch zur Attackenbehandlung eingesetzt werden kann.
Auch für die Gepante gilt, dass nicht nur die Wirksamkeit, sondern auch die gute Verträglichkeit und die hohe Sicherheit umfassend dokumentiert sind.

Gibt es denn gar keine Bedenken oder Risiken? Immerhin kommt CGRP überall im Körper vor und die vielfältigen biologischen Wirkungen werden durch die Antikörper anhaltend blockiert. Man kann hierzu feststellen, dass sich die Verträglichkeit tatsächlich in den allermeisten Fällen als ausgezeichnet darstellt. Entsprechende Informationen aus den Studien haben sich im mehrjährigen praktischen Einsatz vollumfänglich bestätigt. Gelegentlich kommen u.a. Verstopfung, Übelkeit oder Reaktionen an der Einstichstelle vor. Der Prozentsatz derjenigen, die die Therapie aufgrund von Nebenwirkungen abbrechen, ist aber sehr gering. Die Sicherheit scheint nach allen Erkenntnissen hoch zu sein. Dennoch rät die nationale Leitlinie vorsichtshalber dazu, in bestimmten Situationen (u.a. beim Vorliegen einer Herzgefäßerkrankung oder einer entzündlichen Darmerkrankung) auf den Einsatz zu verzichten. Mit zunehmender Erfahrung wird man hier die Einschätzung möglicherweise anpassen können.

Wer kommt für die Therapie mit einem der Antikörper in Frage? Hier sind die Dinge im Fluss. Bis vor kurzem war es noch so, dass die (hohen) Kosten von den gesetzlichen Krankenkassen nur dann übernommen wurden, wenn alle anderen (konventionellen) Medikamente zur Vorbeugung nicht gewirkt hatten, nicht vertragen wurden oder aufgrund von Gegenanzeigen nicht verordnet werden konnten. Wir reden hier also von 1) Betablockern, 2) Topiramat, 3) Flunarizin, 4) Amitriptylin und im Falle der chronischen Migräne 5) Botulinumtoxin.Inzwischen ist ein erleichterter Zugang zu dieser neuen Behandlungsoption möglich. Für Erenumab (Aimovig®) gilt, dass ein Einsatz jetzt bereits möglich ist, wenn zuvor eine andere Therapie an mangelnder Wirkung oder schlechter Verträglichkeit gescheitert war. Hintergrund dieser Entscheidung ist, dass in einer direkten Vergleichsstudie sich Erenumab gegenüber Topiramat als besser verträglich und besser wirksam erwiesen hatte.

Im praktischen Ablauf ist es so, dass die Antikörper über drei Monate gegeben werden, um den Nutzen beurteilen zu können. Bei ausbleibendem Erfolg wird man die Therapie beenden (auch der Wechsel auf einen der anderen Antikörper ist denkbar), bei einem Ansprechen dagegen fortsetzen. Als Ansprechen versteht man in der Regel eine mindestens 50%ige Verminderung der monatlichen Migränetage.
Nach 6-9 Monaten sollte nach Empfehlung der Leitlinie eine Unterbrechung der Behandlung erfolgen, um zu prüfen, ob die Therapie noch erforderlich ist. Kommt es in der Therapiepause wieder zu einer Zunahme der Migränebelastung, kann die Behandlung natürlich fortgesetzt werden.

Diese Informationen können, sollen und dürfen eine individuelle Beratung keinesfalls ersetzen. Diese muss selbstverständlich vor Therapiebeginn umfassend und persönlich erfolgen. Sprechen Sie mich gern an!

Dr. B. Kukowski
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