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Was ist Migräne?



Migräne ist eine sehr häufige Kopfschmerzart: In Deutschland sind rund 12-14% der Frauen und etwa 7% der Männer betroffen. Migräne manifestiert sich meist in der Jugend oder im jüngeren Erwachsenenalter, beginnt aber nicht selten auch schon im Grundschul- oder sogar Vorschulalter.

Migräne gehört zu den so genannten primären Kopfschmerzen - dies bedeutet, dass der Migräne keine andere Krankheit zugrunde liegt: die Migräne selbst ist die Erkrankung. Es hat deswegen auch keinen Sinn, nach der "Ursache" von Migräne suchen zu wollen. Die Diagnose wird also nicht mit technischen Mitteln gestellt, sondern aus dem Gespräch mit dem Fachmann, der sich nach den diagnostischen Kriterien der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft richten wird. Eine ergänzende Bildgebung des Kopfes (MRT) dient im Zweifelfall nur dem Ausschluss einer anderen Erkrankung, ist meist aber verzichtbar, denn zumindest in der Mehrzahl der Fälle stellt die Diagnose der Migräne keine besondere Herausforderung dar. Das Erscheinungsbild ist eben doch sehr typisch: Kennzeichnend sind wiederkehrende Episoden eines meist heftigen bis sehr heftigen, ein- oder beidseitigen Kopfschmerzes, der häufig im Stirnbereich/hinter den Augen oder aber im Hinterkopf lokalisiert ist. Die Schmerzattacke dauert unbehandelt mindestens vier Stunden, bei Erwachsenen aber in der Regel ein bis drei Tage. Der Schmerz zeigt oft einen pulsierenden Charakter und verstärkt sich bei geringer körperlicher Belastung. Die Betroffenen suchen deshalb meist die Ruhe und ziehen sich zurück, zumal Begleitsymptome wie Übelkeit (manchmal bis zum Erbrechen) sowie eine mitunter sehr ausgeprägte Licht-, Geräusch- und Geruchsüberempfindlichkeit hinzukommen und den Rückzugswunsch noch verstärken. So sind Migränetage oft "verlorene Tage", an denen die normale Leistungsfähigkeit mehr oder weniger eingeschränkt bis oft sogar völlig aufgehoben ist. Gerade wenn solche Attacken häufiger vorkommen, ist Migräne deshalb eine sehr beeinträchtigende Erkrankung.

Manchmal kommt es schon am Tag vor den Schmerzen zu sogenannten Vorboten: Dabei kann es sich u.a. um Heißhunger (auch gezielt auf bestimmte Nahrungsmittel), Stimmungsschwankungen, vermehrtes Gähnen oder häufiges Wasserlassen handeln. Diese Vorboten sind also bereits die ersten Zeichen der beginnenden Migräneattacke (der Verzehr der Schokolade am Abend ist also nicht die Ursache der Kopfschmerzen am nächsten Morgen!).

Etwa 20-25% der Betroffenen erleben kurz vor Beginn der Schmerzen eine sogenannte Aura. Dabei handelt es sich um maximal 60 Minuten andauernde neurologische Reiz- und Ausfallerscheinungen, am häufigsten in Gestalt von Sehstörungen wie Flimmern, Blitzen, Zackenlinien und Gesichtsfeldausfällen. Es können aber auch Gefühlsstörungen, Sprachstörungen und andere Manifestationen vorkommen. Keinesfalls besteht die Migräne also "nur" aus dem Schmerzgeschehen! Vielmehr betrachten wir Migräne heute als eine komplexe neurologische Erkrankung mit einer vielfältigen und variablen Symptomatik.

Welche neurobiologischen Prozesse im Gehirn der Migräne zugrunde liegen, ist noch nicht vollständig verstanden. Während man in früheren Jahrzehnten Kaliberveränderungen der Gefäße als Ursache der Aura und der Kopfschmerzen betrachtete, geht man heute von einer neurovaskulären Hypothese aus. Einigkeit besteht darin, dass die ersten Prozesse im Rahmen des Migräneanfalls im zentralen Nervensystem ablaufen. Mit spezieller Bildgebung hat man nämlich zeigen können, dass es in der Phase der Vorbotensymptome zu einer Aktivierung des Hypothalamus kommt. Dieses kleine Hirnareal bildet die oberste Steuer- und Regulationszentrale des menschlichen Organismus und ist (dementsprechend) Teil komplexer Netzwerke. Im weiteren Verlauf werden nun schmerzverarbeitende Kerngebiete im Hirnstamm und auch das sogenannte trigeminovaskuläre System aktiviert. Dieses besteht aus den Gefäßen, die in den Hirnhäuten im Schädelinneren verlaufen, und aus den sie versorgenden schmerzleitenden Fasern des Trigeminusnerven, die man schon seit Jahrzehnten in Verbindung mit der Entstehung von Migränekopfschmerzen bringt.

Interessanterweise scheinen aber bestimmte Hirnfunktionen von Betroffenen auch zwischen den Attacken Auffälligkeiten zu zeigen. So sind Migränebetroffene im Schnitt empfindlicher gegenüber Licht und Geräuschen als gesunde Vergleichspersonen. Derartige Außenreize können offenbar schlechter gefiltert werden.
Ein Beispiel: Wenn in einem leeren Zimmer ein Wecker laut tickt, werden Gesunde das Geräusch nach einiger Zeit "ausblenden", also nicht mehr wahrnehmen. Genau diese Funktion ("Habituation") scheint bei Migräne defizitär zu sein. Ein Konzept von Migräne geht nun davon aus, dass aufgrund dieses ständig etwas vermehrten Einstroms von Reizen das Gehirn der Betroffenen immer ein wenig mehr Energie aufbringen muss, um diesen Input zu verarbeiten, und dass dies dann zu einem gewissen Zeitpunkt die Energiereserven des zentralen Nervensystems erschöpft. Die Migräneattacke ließe sich damit als adaptive Reaktion des Körpers verstehen - mit der Notwendigkeit, sich einige Tage mehr oder weniger komplett zurrückziehen, wodurch das Nervensystem seine Energiereserven wieder aufbauen kann. Dieser Aspekt begründet die Sinnhaftigkeit psychologisch-psychotherapeutischer Behandlungsansätze, wie sie auch in der nationalen Leitlinie empfohlen werden. Hier kann neben den üblichen Verfahren wie Verhaltenstherapie und Erlernen von Entspannungstechniken auch Hypnose eine vielversprechende Therapie darstellen.

Auslöser der Attacken werden ja von den meisten Betroffenen zum Teil sehr aufwändig gesucht, oft aber ohne fassbares Ergebnis. Vermutlich spielen variable Kombinationen aus inneren und äußeren Einflussfaktoren (wie z.B. Hunger, Schlafmangel, Stress, Hormonschwankungen im weiblichen Zyklus) eine Rolle - dennoch bleibt der Zusammenhang lose. Ein bestimmter Faktor wird also bei einer Gelegenheit eine Attacke anstoßen, bei der nächsten Gelegenheit aber wieder nicht. Man kann vermuten, dass solche Trigger nur dann wirksam werden, wenn das Gehirn im Grunde schon "bereit" für eine Migräneattacke ist. Zu anderen Zeitpunkten bleibt deshalb derselbe Trigger ohne Konsequenz. Dennoch ist Migränebetroffenen ein möglichst regelmäßiges Leben auch hinsichtlich des Schlaf- und Essverhaltens zu empfehlen. Stress sollte reguliert, perfektionistische Verhaltensweisen ("Ich muss immer alles ganz genau und exakt erledigen") überprüft und (eventuell auch mit therapeutischer Hilfe) modifiziert, Entspannungstechniken erlernt werden. Ebenso ist regelmäßiger (!) moderater Ausdauersport vorbeugend wirksam.

Die medikamentöse Behandlung der Schmerzattacke kann sich bei leichteren oder mittelstarken Schmerzen auf herkömmliche Medikamente wie Ibuprofen oder Acetylsalicylsäure stützen. Wenn diese nicht ausreichend wirken, sollte mit der Verordnung spezifischer Migränemedikamente aus der Gruppe der Triptane nicht gezögert werden. Alle Medikamente wirken besser, wenn sie frühzeitig im Verlauf eingenommen werden. Häufig lässt sich so eine ausgesprochen zufriedenstellende bis oft auch sehr gute Besserung erreichen. Bei sehr rasch zunehmenden Schmerzen oder beim Auftreten von Erbrechen können Triptane auch als Nasenspray oder als Injektion unter die Haut angewendet werden. Die Verträglichkeit der Triptane ist in aller Regel gut bis sehr gut.

Sorgfältig beachtet werden muss allerdings der Hinweis, dass eine gewisse Einnahmehäufigkeit nicht überschritten werden sollte. Bei Schmerzmitteln wie ASS oder Ibuprofen ("NSAR") können Magengeschwüre oder im Extremfall langfristig Nierenschäden auftreten, vor allem aber kann der zu häufige Gebrauch den Kopfschmerz verschlimmern und chronifizieren. Diese scheinbar paradoxe Situation wird als Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrauch bezeichnet. Ein Risiko hierfür besteht, wenn über mehr als drei Monate an mehr als 10 Tagen Triptane oder an mehr als 15 Tagen Nicht-Opioid-Schmerzmittel (Ibuprofen, ASS, Paracetamol ...) eingenommen werden.

Es ist deshalb sehr sinnvoll, einen Kopfschmerzkalender zu führen, der Häufigkeit und Schwere der Attacken, aber eben auch den Medikamentenkonsum erfasst. Dies ist ansonsten aus der Erinnerung heraus meist nicht mehr zuverlässig zu möglich. Meinen Kopfschmerzkalender zum Download finden Sie hier. Ebenso eignen sich Apps, wobei ich insbesondere diejenige aus der Schmerzklinik Kiel empfehlen möchte ("Migräne-App").

Wenn die Migränehäufigkeit so hoch ist, dass eine sehr häufige Einnnahme von Akutmedikamenten notwendig ist, oder eine erhebliche Beeinträchtigung im Alltag vorliegt, sollten unbedingt die Möglichkeiten einer medikamentösen Vorbeugung genutzt werden. Wir verfügen über eine Reihe von Medikamenten, die - auf täglicher Basis eingenommen - in der Lage sind, bei vielen Betroffenen die Häufigkeit und/oder Heftigkeit von Migräneattacken zu senken. Bei chronischer Migräne kommt auch die Injektion von Botulinumtoxin in Abständen von 12 Wochen in Betracht, und seit einigen Jahren verfügen wir über die moderne Behandlungsoption der Antikörper) . Parallel hierzu sollten aber immer auch konsequent die Optionen der nicht-medikamentösen Behandlung genutzt werden (Ausdauersport, Entspannungsverfahren, Stressbewältigung). Wenn diese Therapie erfolgreich verläuft, kann sie das Leben der Betroffenen erheblich verbessern: weniger Schmerzen, weniger Ausfallzeiten, mehr Teilnahme an Aktivitäten, weniger Schmerzmittel - insgesamt also eine höhere Lebensqualität. Trotzdem wird empfohlen, die medikamentöse Prophylaxe nach etwa 12 Monate zu beenden. Man kann dann ersehen, wie sich der Verlauf der Migräne ab diesem Zeitpunkt darstellt.

Literaturempfehlung: Ch. Gaul u.a.: Patientenratgeber Kopfschmerzen und Migräne. ABW Wissenschaftsverlag Berlin 2012.

Dr. B. Kukowski, Hildesheim
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